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kokon. Ein schaurig-schönes Schachtelstück.
Eine Rezension von Chris P. (musikreviews.de)

Sieben lange Jahre nach dem herrlich sonderbaren, skurrilen fünften Album „Ein Toter fährt gern Ringelspiel“ gibt es endlich wieder ein Lebenszeichen der österreichischen Kapelle, und es hört sich ganz danach an, als ob Michael Haas, sein Sidekick Emmerich Haimer und die neun weiteren Mitmusiker und Vokalkünstler während der letzten zwei Jahre, in welchen sie am neuen Material gearbeitet haben, wirklich sämtliche Mühen in „kokon. Ein schaurig-schönes Schachtelstück“ gesteckt haben, und zwar so lange, bis alles absolut perfekt ist.
Auf die im wahrsten Sinne des Wortes lyrischen Inhalte des fast einstündigen klanggewordenen absurden Theaterstücks einzugehen, wäre in etwa so, als verrate man den gesamten Inhalt eines Buches. Überlassen wir das also lieber dem ANGIZIA-Kopf persönlich, der diesen Kokon zusammen mit Emmerich Haimer gesponnen und gewoben hat und widmen uns der musikalischen Komponente, die bereits für sich selbst reichlich viel zu erzählen weiß.
Die Klezmer-Elemente, die auf den beiden Vorgängeralben noch sehr präsent waren, sind alleine schon der Thematik wegen in die Mäuselöcher der Kellergewölbe verschwunden, stattdessen präsentieren sich ANGIZIA anno 2011 – abgesehen von der typischen, fast als Hörspielmusical interpretierbaren Ausrichtung – um einiges klassischer. Kammermusik, Walzer und teilweise Jahrhunderte zurückreichende Beinahezitate verschiedener Epochen der Klassik bilden das musikalische, gerne auch mal mit modernem Schlagzeug verstärkte Rückgrat dieses sonderbaren Kunstwerks, doch es wäre ein Unding, wenn ANGIZIA auch dieses Mal nicht wieder einmal mit Fremdartigem spielen würden – so findet sich in „Aus Traum und Tanz. Ein Walzer.“ lupenreiner Tango wieder, für „Maß für Maß“ wird gar wieder die Bratgitarre ausgepackt, am E-Bass wird gerne auch mal funky geslappt, und vereinzelt finden sich gar jazzige Partikel wieder. Genau diese Besonderheiten sind es, die ANGIZIAs Musik so spannend werden lassen, und dank der Ausdrucksstärke der „kokon.“-Akteure und Akteurinnen, die für die unfassbar spannende gesangliche und erzählerische Komponente sorgen, entsteht eine visuelle Kraft, die nur wenige tonschaffende Künstler in das innere Auge des Zuhörers zu transportieren vermögen.
FAZIT: Fast kauzig und verschroben schreiten Haimer, Haas und Anhang gänzlich jenseits irgendwelcher musikalischer Strömungen einen Pfad entlang, den sich kaum jemand zu gehen traut. Selbstbewusst, mit Stolz - und mit einer nicht zu befriedigenden Neugier, was hinter all den Weggabelungen, die da noch kommen mögen, stecken mag. Der Schatz, mit dem ANGIZIA dieses Mal, nach langer Rast, zurückkehren, steckt in diesem edlen, schaurig-schönen Plastik- und Pappkokon.

13 von 15 Punkten

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