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Ein Toter fährt gern Ringelspiel
Rezension von Manuela Wawrzyszko

Die facettenreichsten Genreveröffentlichungen der letzten Jahre brachte mit hoher Wahrscheinlichkeit das 1994 in Wildendürnbach (Österreich) gegründete Musiktheaterprojekt ANGIZIA hervor, an dem sich schon von Beginn an die Geister schieden. Daran wird auch die aktuelle Veröffentlichung sicherlich nichts ändern, denn was im Jahre 2001 angefangen wurde, wird nun mit dem entrischen Friedhofsstück "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" weitergesponnen.

Verrückt, bizarr, kapriziös, gleichermaßen verstörend als auch betörend, allerdings immer höchst qualitativ, potenziert dieses fünfte Werk alles was Angizia bisher auszeichnete. Nach wie vor musiziert die österreichische Ausnahmetruppe, bestehend aus dem Protagonisten Michael Haas, der Primadonna Irene Denner und dem für das Rezitativ zuständigen Jochen Stock (Dornenreich), jenseits jeglicher bekannter Kategorien und beweist mit seinen vielschichtigen Arrangements, sowie Instrumentierungen, dass selbst der Gesang keine Grenzen beinhalten muss. Obwohl sich musikalisch nicht viel geändert hat, erstrahlt "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" nichts desto trotz in einem völlig neuen Glanz, welcher durch die anmutend-durchdachten Klangstrukturen einige Anläufe zur vollständigen Entfaltung benötigt. Gekonnt avantgardistisch eingebaute, von viel Herzblut umspielte und angetriebene obskure Elemente tanzen makaber, widerborstig-fordernd und äußerst emotionsgeladen unverkennbar mit dem Tod.

Dieser 24-teilige vertonte Gedichtszyklus ist in seiner Skurrilität, sowie Eigenständigkeit kaum noch zu übertreffen. Deutlich gegen die Masse, verpackt in einer idealistischen, schmerzhaften Sehnsucht, eisiger Kälte, aber auch trauriger Einsamkeit, erstellt die Formation eine Gänsehaut fördernde Reise, deren dramaturgische Stimmungshöhen- und Tiefen nicht nur einen Epos, sondern vor allen Dingen einen echten Meilenstein wachrufen. Insbesondere die altertümlich klingende Sprache erinnert etwas an Dornenreich und macht einem erst wieder richtig bewusst, welch enorme Sinnträger Worte doch eigentlich sind. Das Hauptensemble, zu dem sich etwaige Gastmusiker dazugesellen, erzählt Königbergs Szenario von 1947 nicht nur wunderschön emotional-aufbrausend, sondern auch unheimlich gefühlsintensiv und eindringlich, wodurch geschichtlich ein roter Faden durch das Meisterwerk zelebriert wird. Selbst die umfangreiche, detailbedachte, zum Nachdenken animierende textliche Ausdrucksweise fließt mit der Musik zu einem intelligenten, träumerischen und ausgewogenen Theaterstück zusammen, das trotz seiner vielfältigen, verzweifelten, stellenweise sogar krankhaften Parts an keiner Stelle überladen, wirr oder sinnlos wirkt.

Das Fortsetzungsstück von "39 Jahre für den Leierkastenmann" führt präzise vor Augen, weshalb die Zusammenarbeit mit einem Label, für die letztendlich aus eigenen Mitteln finanzierte Platte unmöglich war. Daher ist es nahezu faszinierend auf welch hohem Niveau sich Musik, Text und Artwork gleichberechtigt in Einklang befinden. "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" hat die morbide Atmosphäre exzellent eingefangen und obgleich es eigentlich unmöglich ist solch ein umfangreiches, interessantes und zutiefst beeindruckendes Werk zu beschreiben, so müsste dennoch jeder zugeben, dass es perfekter und kreativer wirklich nicht mehr geht. Menschen, die etwas völlig Neues suchen, werden an dieser Platte wahrlich ihre Freude haben.

Angizias fünfter Streich erweckt die Toten am Rummelplatz zweifellos wieder zum Leben und zeigt, dass sie zwar zu den Unsichtbaren, nicht jedoch zu den Abwesenden gehören!

MANUELA WAWRZYSZKO

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