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"Ein Toter fährt gern Ringelspiel"
Rezension von Dunja Edelman

"Auf dem Judenfriedhof des einstigen Ghettos bzw. dort wo die Spielmänner der letzten 30 Jahre eine seltsame Ruhe gefunden haben, macht sich eine schaurig schöne und entrische Stimmung breit." Diese einleitenden Worte im Booklet widerspiegeln die Stimmung von "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" wohl am besten. Das bei der kleinen, aber ziemlich enthusiastischen Fanschar der österreichischen Ausnahmetruppe ANGIZIA schon sehnlichst erwartete postmorbide Fortsetzungsstück von "39 Jahre für den Leierkastenmann" erweckt die Toten am Rummelplatz, und lässt einen wissen, was aus Leierkastenmann und Kinderzar geworden ist, ehemaligen Protagonisten älterer Werke. Musikalisch hat sich nicht viel verändert, außer dass diesmal die Klezmer-Anteile noch ein wenig dominanter sind und dass die Stimmung - themengemäß - um einiges morbider ist als auf den anderen Werken. Und gerade diese morbide Stimmung wurde exzellent eingefangen: Sei es mit einer Säge, die bei "Schaukelkind" teilweise anstatt des Schlagzeuges eingesetzt wurde und im Laufe des Stückes auch noch seinen Part bekommt, indem sie dem Gaul den Kopf vom Schlund sägt oder mit schaurig klingenden Orgelparts, die einem besonders bei "Der Kirchhof spielt zum Leichenschmaus" die Haare zu Berge stehen lassen. Auch der Gebrauch von Kinderliedelementen wirkt bizarr, wobei gerade der Text von "Hoppa Hoppa Reiter" zeigt, wie kindgerecht diese manchmal sind. "Es hat den komischen Anschein, als würden die Gräber dieser Totenstadt zu sonderbaren Häusern werden, in denen all die klirrenden Toten zu leben beginnen." Das mittlerweile gewohnte Dreigespann Michael Haas als Protagonist, Irene Denner als Primadonna und Jochen Stock (Dornenreich), der den Rezitativ übernimmt, bewährt sich auch hier, ansonsten wurden nur kleine Änderungen am Instrumentarium vorgenommen. Und obwohl musikalisch eigentlich nicht viel verändert wurde, erstrahlt "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" in neuem Glanz, denn wie eigentlich jedes Werk von ANGIZIA ist dieses Stück ein einzigartiges, bei dem die Liebe zum Detail und der Perfektionismus schnell auffallen und begeistert. Allerdings ist dieses Stück meiner Ansicht nach noch ein wenig schwerer zu verdauen als die anderen, es benötigt doch mehr als einige Anläufe, bis man die Freude vollends genießen und mit den Leichen "Schicker-Schacker" tanzen kann. ANGIZIA polarisieren wie kaum eine andere Truppe, was auch zur Folge hat, dass das Zusammenarbeiten mit einem Label nicht möglich war, da man weder Kompromisse eingehen noch sich auf billige Weise verkaufen lassen wollte, weswegen das Album schlussendlich aus eigenen Mitteln finanziert wurde. Aus diesem Grund hoffe ich, dass dieses entrische Friedhofsstück nicht auch das Projekt selber zu Grabe trägt, wie es Michael Haas angedeutet hat. Denn mit "Ein Toter fährt gern Ringelspiel" beweist die Truppe erneut, dass es keine Grenzen gibt, dass nur genügend Perfektionismus und Liebe zur Musik vorhanden sein muss, um eine kleine, aber loyale Gruppe von Musikliebhabern mehr als zufrieden zu stellen und in Freude zu versetzen - und das hoffentlich noch länger. (10/10)

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